Datensammlungen sind in der Onlinewelt eher die Regel als die Ausnahme. Soziale Netzwerke sammeln Nutzerdaten und werten diese aus, es werden Zielgruppen gebildet, es wird experimentiert und optimiert. Welche Ausmaße dies annehmen kann, zeigt nicht nur der jüngste Skandal um Facebook, sondern auch die offenherzige Bekanntmachung der Online Dating Plattform OkCupid. Ist der Aufschrei gerechtfertigt oder ist die Manipulation nichts weiter als eine gängige Optimierungsmaßnahme, wie sie einer der Gründer des Unternehmens darstellt?
Vor kurzem provozierte Facebook die Onlinegemeinde mit einer Studie, bei der 310.000 Nutzer manipulierte Newsfeeds zu sehen bekamen: die einen vorwiegend positive, die anderen vor allem negative. Hier ging es nicht nur um die Auswertung von Daten, sondern um die gezielte Manipulation des Newsfeeds, ohne dass Nutzer davon in Kenntnis gesetzt wurde. Ohne ihr Wissen wurden sie zu Probanden, bekamen ein verzerrtes Bild ihrer Freunde zu sehen. Facebooks Nutzungsbedingungen deckten diese Experimente, moralisch fragwürdig bleiben sie dennoch.
OkCupid facht die Diskussionen erneut an
Ganz ungeniert und im Plauderton teilt einer der beiden Gründer Christian Rudder im Blog mit, dass auch die Dating-Plattform gezielt Daten zu Testzwecken manipulieren würden. Schon der Titel des Posts liest sich ausgesprochen provokant „We Experiment On Humans!“ Was dahinter steckt: OkCupid experimentierte zum Beispiel damit, Nutzern einen höheren Übereinstimmungswert anzuzeigen als tatsächlich berechnet worden war.
In einem anderen Versuch wurden Profildaten manipuliert: Man experimentierte damit, Profiltexte nicht anzuzeigen, um herauszufinden, ob dies die Bewertung des Profils beeinflussen würde. Das Ergebnis: Der Text scheint nur zu einem Bruchteil auf das Urteil Einfluss zu haben, das Foto sei deutlich wichtiger.
Verbesserungen der User Experience als Begründung für die Manipulationen?
Rudder rechtfertigt die Experimente damit, dass Nutzer im Internet auf Websites ständig als „Versuchskaninchen“ herhalten müssten. Natürlich kann man es als Experiment bezeichnen, wenn zum Beispiel Online Shops A/B Tests durchführen und ihre Nutzerdaten auswerten, um den Shop attraktiver zu machen und die Verkäufe zu erhöhen. Genauso werten professionelle Analytics Experten die Daten der Besucher so minutiös aus, dass Datenschutzexperten skeptisch sind. Doch was OkCupid mit den Experimenten umgesetzt hat, bedeutet die direkte Manipulation von persönlichen Nutzerdaten und darf keinesfalls in eine Schublade mit Webanalyse-Auswertungen oder allgemeinen Tests auf Websites gesteckt werden.
Und dies alles unter dem Deckmantel, die Plattform verbessern zu wollen? Denn was bedeutet dies in der Praxis? Nutzern einen höhere Übereinstimmung anzuzeigen, um mehr Nachrichten und damit mehr Erfolge zu provozieren? (Nach dem Experiment tauschten Nutzer, denen ein höherer Übereinstimmungswert suggeriert wurde, tatsächlich deutlich häufiger Nachrichten aus. Die bloße auf Daten basierende Annahme davon, man passe zusammen, reichte also aus, um ein höheres Interesse zu erzeugen.) Will man Nutzer dazu anzuregen, attraktivere Fotos hochzuladen? Bilder prominenter platzieren? Attraktivere Profile mehr in den Vordergrund zu rücken?
Täuschung ohne Skrupel bei einem sensiblen Thema
Gerade bei einem so persönlichen und emotionalen Thema wie es das Dating ist, die Suche von Menschen nach einer glücklichen Beziehung, mutet die Manipulation besonders grausam an. Höhere Übereinstimmungswerte zu suggerieren und damit Interaktion zu forcieren, scheint die spätere (Ent-)Täuschung und Frust geradezu zu provozieren. Nicht zu vergessen, dass Nutzer für Premiumdienste von OkCupid zahlen (die „A-List“, die beispielsweise eine Detailsuche ermöglicht) und darauf vertrauen, reale Daten angezeigt zu bekommen und tatsächliche Hilfe auf der Suche nach einem passenden Partner zu erhalten. Ohne ihr Wissen Nutzern genau dies vorzuenthalten, ist eine Täuschung und eine Verletzung des Versprechens, mit dem Nutzer schon auf der Startseite motiviert werden: „Our matching algorithm helps you find the right people.“ Kurz gesagt: ein klarer Vertrauensmissbrauch, der viele Nutzer nicht grundlos auf die Barrikaden trieb.
Was sollte dies für das eigene Onlineverhalten bedeuten?
Letztendlich kann sich niemand sicher sein, auf einer fremden Plattform nicht ebenfalls Teil eines Experimentes zu sein, das verfälschte Daten anzeigt? In erster Linie Sensibilität für die eigenen Daten entwickeln, vielleicht sogar auch mal Nutzungsbedingungen sozialer Netzwerke lesen, sich über deren Geschäftspraktiken informieren, sich nicht auf Daten Dritter verlassen, sondern den eigenen gesunden Menschenverstand zur Beurteilung benutzen. Die wunderbare Onlinewelt als Hilfsmittel verstehen, ihr gegenüber jedoch kritisch bleiben – und im Zweifelsfall die Offlinewelt vorziehen (oder schnell einen Sprung in diese schaffen), wenn es um so wichtige Fragen wie zum Beispiel zwischenmenschliche Beziehungen geht.
(Beitragsbild: CC-BY-SA Madeleine Ball)